Morgen wird mein Sohn 13 und meine Tochter nach 5 Jahren schneekettenlos (die Zahnspange kommt ab!) Und ab morgen bin ich dann auch Mami zweier Teenager. Hurraaa...viel Grund zum Feiern! ;-)
Perfektes Timing also um über den Tod und das Sterben zu schreiben...
"Was? Draußen scheint die Sonne! Frühlingsgefühle! Warum macht die das?" Werden sich jetzt einige fragen.
Darum. Wann passiert schon mal was zum perfekten Zeitpunkt? Meistens geben wir doch in der Rückschau den Begegnungen und Situationen in den Stationen unseres Lebens das Etikett des perfekten Zeitpunkts. Wir bewerten also Ereignisse in gut und schlecht, förderlich und hinderlich, passend und unpassend. Und oft bleiben wir in Konflikten, unangenehmen Erlebnissen hängen... wir durchleben sie in Gedanken immer und immer wieder und in Erwartung, dass das nächste Unheil gerade um die Ecke biegt, verlieren wir den Blick auf die wunderbaren und schönen Dinge, die direkt vor unserer Nase sind. Und liegt nicht die ultimative Schönheit des Lebens darin, im Moment zu leben, den Augenblick zu genießen, die Vergangenheit loszulassen? Denn Vergangenes, sowie Zukünftiges existieren jeweils nur (noch) in unserer Vorstellung. Ein schöner Gedanke, Frieden für das was war und Freude für das was sein wird zu empfinden.
Meine Eltern werden älter und leider hatte mein Vater in den letzten Jahren ein paar brenzlige gesundheitliche Situationen erlebt. Da kann man einem möglichen Abschied plötzlich nicht mehr ausweichen, wird quasi gezwungen hinzuschauen, hinzuspüren und die eigenen Ängste anzuschauen. Da ist es nahe! Anders als wenn man Fernsehen und Nachrichten schaut bzw. liest. Da werden wir jeden Tag mit dem Tod konfrontiert und entweder das Gelesene versetzt uns permanent in Angst und Schrecken und lässt uns starr und unflexibel werden, oder wir stumpfen ab und blättern drüber, weil man ja scheinbar eh nix machen kann...wir verdrängen.
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Aus diesem Grund ist es mir wichtig, mich auch mit dem angsteinflössenden und nicht sehr chicen Thema Sterben auseinanderzusetzen. Warum nicht chic? Laut Dr. Sylvester Walch tragen wir alle einen mehr oder minder großen narzisstischen Anteil in uns. Dieser Anteil will glänzen, will Macht, will gut und lange jung aussehen...lässt uns Unmengen an Geld für Antifaltencremes, Verjüngungs-und Erschlankungskuren ausgeben, lässt uns viel zu große Häuser bauen und unnötig fette Autos kaufen/leasen...dieser Anteil sorgt für ein großes Ego und ein kleines Selbst. Dieses Ego urteilt, bewertet, manipuliert und vergleicht... wer ist schöner, reicher, dünner, hat den besseren Job? Mehr Einfluss, Reichtum, Zeit, Ressourcen, Waffen, Land... die Liste ist lang. Und das verursacht sehr viel unnötiges Leid. Überall.
Ein gesundes Ego ist nötig, um Dinge im Leben voranzutreiben, den Mund aufzumachen, wenn Ungerechtigkeiten geschehen, um zu sich selbst zu stehen. Für sich und andere einzutreten. Ihr seht also, ich bin nicht für eine komplette Abschaffung des Egos... bin ja auch kein erleuchteter indischer Guru :-)
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Dieser Dr. Sylvester Walch also hielt letzte Woche einen Vortrag in der Sigmund Freud Uni in Wien und mein alter Freund Georg lud mich ein ihn dorthin zu begleiten. Er selbst hatte letztes Jahr ein Seminar über holotropes Atmen besucht und noch immer erzählte er begeistert, wie es ihm damals die Socken auszog. Im positiven Sinne.
Das Thema war "die transpersonale Psychologie des Sterbens" und ja schon klar, so ein Thema hört man sich dann doch lieber nicht allein an. Also sprang ich in den Zug und fuhr nach Wien. Wir würden das gemeinsam machen.
Der Vortrag begann um 19 Uhr und ich war froh, dass wir ein bisschen früher da waren. Wir hatten gute Plätze erwischt, denn wenig später war die Aula gerammelt voll. An die 300 Personen versammelten sich um zuzuhören. Bunt gemixtes Publikum. Und was mich erstaunte, ganz ganz viele junge Menschen. Das Thema berührt und beschäftigt also nicht nur "die Alten kurz vorm Abkratzen"!
Zu Anfang merkte ich wie ich zickte, als Dr. Walch seinen Vortrag begann und vorlas! Mein Kritiker in mir meinte, wie kann ein Mensch, der Jahrzehnte an Erfahrung in der Psycholgie, Psychopathologie, Psychiatrie, Atemarbeit und vieles mehr hat, hier einfach ablesen! Ich wollte mitschreiben (der Streber in mir, der Wissen sammeln will) und lernen. Gut, war nicht. Ich schloß die Augen, um mich besser konzentrieren zu können und begann zuzuhören. Richtig zuzuhören und mich auf den Inhalt einzulassen.
Zu Beginn erklärte Dr. Walch was transpersonale Psychologie bedeutet. Es verbindet sich hier Wisschenschaft und Spiritualität. Die transpersonale Psychologie nützt gemeinsam mit der holotropen Atemarbeit (nach Stanislav Grof, holotrop = vom griechischen holos „ganz“ und trepein „sich richten auf“ oder „sich begeben“, „auf Ganzheit ausgerichtet“) die Fähigkeit des Bewusstseins, sich selbst erforschen zu können. In diesen holotropen Bewusstseinszuständen lassen sich heilende Ressourcen und verborgene Potenziale aktivieren. Dadurch stärkt sich unsere innere Weisheit, die uns durch die Schwankungen des Lebens hilft, uns seelische Engpässe überwinden lässt und uns durchlässiger für transzendente Wirklichkeitsbereiche werden lässt.
Transzendenz (von lateinisch transcendentia „das Übersteigen“) bezeichnet in Philosophie, Theologie und Religionswissenschaft ein Verhältnis von Gegenständen zu einem bestimmten Bereich möglicher Erfahrung oder den Inbegriff dieses Verhältnisses. Als transzendent gilt, was außerhalb oder jenseits eines Bereiches möglicher Erfahrung, insbesondere des Bereiches der normalen Sinneswahrnehmung liegt und nicht von ihm abhängig ist. Mit der in der Bezeichnung enthaltenen Vorstellung des „Übersteigens“ ist vor allem eine Überschreitung der endlichen Erfahrungswelt auf deren göttlichen Grund hin gemeint, seltener eine Selbstüberschreitung des Göttlichen auf die Weltschöpfung hin. Der komplementäre Begriff des „Immanenten“ bezeichnet das in den endlichen Dingen Vorhandene, sie nicht Überschreitende und daher ohne Rückgriff auf Transzendentes Erklärbare.
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Zu Beginn war dieser Vortrag sehr theoretisch und Dr. Walch dozierte unter anderem über Abraham Maslow, der Forschung nach dem Glück, positiven Aspekten des Lebens und Bedürfnissen betrieb. Neben der Erfüllung von Grundbedürfnissen strebt der Mensch nach Selbstverwirklichung und Transzendenz. Der Verbindung mit dem höheren Selbst.
"Der Mensch ist nicht nur das, was er ist, sondern auch das, was er sein könnte." (Maslow) Und wie können wir sein, was wir sein könnten, wenn wir dem Unausweichlichen keinen Platz im Leben einräumen? Wenn wir es wegschieben? Wenn wir uns nicht im alltäglichen Loslassen üben für das letzte radikale Loslassen?
Sehr bald erzählte Walch von diesem letzten radikalen Loslassen. Dem Loslassen, dem IMMER ein Annehmen, ein Akzeptieren der Situation, der Vergangenheit vorausgeht. Er erzählte aus jahrelanger Erfahrung von Menschen, die Nahtoderlebnisse hatten und durchgängig über ähnliche Erlebnisse berichteten. Dem Tunnel, mit dem schönen Licht am Ende. Den Stationen des Lebens, die nochmal erfahren werden. Die schönen, wie die schlimmen. Und das wir den Schmerz noch einmal empfinden würden, den wir anderen zugefügt hätten.
Gut, dass ich die Augen zu hatte... denn zu diesem Zeitpunkt, begann es zum ersten Mal richtig zu drücken. Nicht nur bei mir, wie mir Georg nachher erzählte. Und sicher auch bei vielen anderen im Raum. Es war, bis auf den Referenten, ganz ruhig im Raum. Ein paar Mal an diesem Abend war ich noch sehr sehr gerührt. Fast meditativ machte ich mich auf die Suche nach Situationen, in denen ich anderen Schmerz zugefügt hatte... und ja, was soll ich sagen. Da ploppte schon was auf und angenehm war das nicht!
Er erzählte von Sterbenden und wie wir sie begleiten können, von Erfahrungen die Sterbebegleiter berichteten und auch aus seinem persönlichen Umfeld. Dass man nicht streiten soll, an einem Sterbebett, sondern ruhig und friedlich die Hand halten. Dass man für eine gute Atmosphäre sorgen kann, trotz großer Traurigkeit. Und dass man zuhört, wenn der Sterbende Bilanz zieht, erzählt oder auch nur noch in Gedanken und Träumen dies macht. Dass man verzeiht. Sein OK zu geben, dass man den Menschen gehen lässt und nicht an ihm festhält... Hier, könnt ihr euch vorstellen, war ich schon sehr emotionalisiert. Das alles ging mir sehr nah. Da klopften schon ein paar Verlustängste ziemlich laut an.
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Was also können wir tun?
Im Sterben werden.
...und das im Alltag üben. Das Ego kleiner werden lassen und das Selbst größer. Schauen, was wir zum gemeinsamen Wohl beitragen können und umsetzen. Konflikte aus der Welt schaffen, verzeihen und Dinge, die wir erleben wollen, tun. Menschen die wir schon so lange anrufen wollen, anrufen. Nicht Besitz anhäufen, sondern Erfahrungen und schöne Erinnerungen. Man kann nichts mitnehmen. Zum Schluß hängt der Löffel an der Wand.
Dr. Walch lud uns alle ein, bei einer kleinen Übung mitzumachen.
Und ich lade Dich ein, ebenfalls mitzumachen. Nimm Dir, wenn Du möchtest ein paar Minuten Zeit. Atme ein paar Mal tief ein und aus. Und spüre wie Dein ruhiges Atmen Dich selber ruhiger werden lässt. Wie sich Dein Geist beruhigt und die Gedanken des Alltags vorbeiziehen... und lasse nun, wenn ich Dir folgende Fragen stelle, zu, was kommt, alle Bilder, Situationen, Wünsche...Beobachte und spüre nach:
Wenn Du morgen sterben würdest:
1) Was würdest Du bereuen, nicht getan zu haben?
2) Was würdest Du noch heute in Ordnung bringen?
...Und? Wie ist es Dir gegangen?
Ich habe diese Übung als sehr intensiv, traurig und schön zugleich empfunden. Das Gute ist, es ist noch genug Zeit, die Dinge anzugehen, zu erleben was wir erleben wollen und die Dinge in Ordnung zu bringen, die uns belasten.
Mal wieder geht´s einfach ums tun :-)
Walch schloss seinen Vortrag mit einem sehr guten Tipp für ein gutes Altern:
Dem "das ist so" Vorrang gegenüber dem "das sollte so sein" einzuräumen. Das bringe eine Menge Freiheit, Gelassenheit und Zufriedenheit.
Das, neben ganz vielen anderen Eindrücken, nahm ich mir mit von diesem Abend.
Und warum trägt jetzt dieser Artikel den Namen "bella ciao"?
Ich habe mit meinen Kindern schon ein paar Mal über den Tod gesprochen. Ich will ihnen und mir den Schrecken und die Angst nehmen. Ich habe ihnen erzählt, wie ich mir mein Begräbnis vorstelle. Eine große Feier, wo getrunken und getanzt wird und dreckige politisch unkorrekte Witze erzählt werden (sie sind dann alt genug dafür ;-)) und dass sie sicher sein können, dass wenn ich einmal in der geistigen Welt bin, ich ihnen immer im G´nack sitzen werde.
Sie meinten, ich soll aufhören, allerdings mit einem Lachen... wir haben dieses Thema verschoben, zuerst kommt noch das ganze Leben. Hier.
Mein Sohn hat noch hinzugefügt: "Mami, wenn Du mit 95 oder 100 stirbst, dann bin ich selber schon alt. Dann sing ich "bella ciao, bella ciao, bella ciao ciao ciao", weil ich dann weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir uns wieder sehen.“
So, und jetzt aus.
Ich umarme jetzt meine Kinder und spring mit ihnen am Nachmittag in den See.
Alles Liebe,
Lydia
Links:
- Zu Sylvester Walch: https://www.walchnet.de/https://www.walchnet.de/
- Den Löffel abgeben: https://gfds.de/woher-kommt-die-redewendung-den-loeffel-abgeben/
- Elisabeth Kübler Ross: https://www.stern.de/panorama/wissen/mensch/elisabeth-kuebler-ross--sterben---das-ist--als-wuerde-man-bald-in-die-ferien-fahren--3065194.html
- Bella caio: https://www.youtube.com/watch?v=RzF47R_LnEg
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daSchneit (Sonntag, 29 April 2018 19:36)
sehr schön liebe Ly! Ich kenne kaum etwas befreienderes als die Angst vor dem Tod zu verlieren. Ist diese Angst genommen, relativieren sich auch die anderen Ängste. Und so komme ich Stück für Stück der vollkommenen Freiheit näher :)
Bussl,
DaSchneit